Erfahrungen zur Zentralisierung von „Einzel-Gasetagenheizungen“ über bestehende Kamine in Wien

In österreichischen Wohnungen werden mehr als eine halbe Million Gasthermen betrieben. Die Kostenexplosion bei Erdgas und die Versorgungs-Unsicherheit zeigen, dass in diesem Bereich ein Wechsel auf Fernwärme bzw. erneuerbare Energie dringend erforderlich ist. Die Sozialbau AG beschäftigt sich seit 2016 mit der Zentralisierung von Gasthermen und stellt nun das erarbeitete Know-How zur Verfügung.

Das Problem: Gasthermen in Wohnungen, Büros etc.
Die Lösung: Zentralisierung & Dekarbonisierung

Gasetagenheizungen (Gasthermen) finden sich in weit über einer halben Million österreichischer Wohnungen und Büros, die in mehrgeschoßigen Bauten situiert sind. Sie beheizen einzelne Einheiten individuell und versorgen diese meist auch mit Warmwasser (Kombithermen). Sie verbrennen Erdgas, das nicht nur klimaschädlich und gesundheitsgefährdend (Gasexplosionen und Kohlenmonoxidvergiftungen), sondern seit dem Krieg in der Ukraine auch versorgungskritisch und teuer ist.

Damit Österreich 2040 klimaneutral werden kann, müssen diese dezentralen fossilen Heizsysteme ersetzt werden: Vor allem durch den Anschluss an ein (dekarbonisiertes oder bis 2040 dekarbonisierbares) Wärmenetz oder durch Wärmepumpen, vereinzelt auch durch Biomasseheizungen.

Voraussetzung für die Umstellung von mit Gasthermen beheizten Wohnungen auf eines der oben genannten klimafreundlichen Systeme ist jedoch (fast) immer, dass zunächst im Gebäude eine gemeinsame Heizzentrale errichtet wird, von der aus die Wärme mittels eines hydraulischen Verteilnetzes in die Wohnungen geleitet wird. Dieses Haus-Verteilnetz fungiert als Brückentechnologie zur Dekarbonisierung, eröffnet es doch die Möglichkeit, die Wohnhausanlagen flexibel an verschiedene klimafreundliche Energieformen anzupassen: Für das Heizen in fossil beheizten großvolumigen Bauten gilt in der Regel: Keine Dekarbonisierung ohne vorherige Zentralisierung!

„Gemeinschaftstherme“ von Sozialbau AG und HOB als Blaupause für den Gasausstieg im Geschoßwohnbau

In der Sozialbau AG hat man sich spätestens seit 2015, als in Folge einer Mietrechtsnovelle die Verantwortung für die Gasthermenwartung vom Mieter bzw. von der Mieterin auf die Vermieterin (Sozialbau AG) übergegangen ist, mit dem Aus für Gasthermen im eigenen Wohnungsbestand auseinandergesetzt.

Mehrere Probleme, die mit einem Betrieb von Gasthermen verbunden sind, sollten damit gelöst werden:

  • hoher CO2-Ausstoß,
  • hohes Gesundheits- und Sicherheitsrisiko für Mieter:innen durch Kohlenmonoxid-Unfälle,
  • hoher Organisations- und Kostenaufwand für Vermieter:innen durch Wartungen und Reparaturen.

Eine geniale Idee wurde geboren: Durch die Errichtung der Wärmezentrale am Dach und die Nutzung der Kamine für die Wärmeverteilung, muss weder im Stiegenhaus noch in den Wohnungen gestemmt werden. Die „Zentralisierung“ der Wärmeversorgung ist somit minimal invasiv, kostengünstig und relativ rasch umsetzbar. In der Folge entwickelte die SOZIALBAU gemeinnützige Wohnungsaktiengesellschaft (Sozialbau AG) mit ihrer Installationstochter HOB (Hausservice Objektbewirtschaftungs GmbH) ein Konzept zur Lösung der technischen, rechtlichen, ökonomischen, organisatorischen und kommunikativen Herausforderungen im Zusammenhang mit dieser Art der Zentralisierung der Wärmeversorgung.

Ein erstes Test- und Pilotprojekt wurde von 2017 bis 2019 in der Miesbachgasse 10 in Wien (siehe unten) umgesetzt. Dabei wurden wertvolle Erfahrungen gewonnen. 2019 wurde beschlossen, die Zentralisierung und Dekarbonisierung von Gasthermen-Gebäuden unter dem Produktnamen „Gemeinschaftstherme“ (© SOZIALBAU AG) im gesamten Sozialbau-Verbund breit auszurollen. Ziel ist es, alle 5.000 Wohnungen mit Einzelthermen an das umweltfreundlichere und effizientere Energieversorgungssystem der Gemeinschaftsthermen anzuschließen.

Im Frühjahr 2022 waren „Gemeinschaftsthermen“ in 18 Wohnhäusern installiert, in 15 weiteren waren sie gerade in Umsetzung. 60 weitere Anlagen sind in Vorbereitung. Der aktuelle Stand der Projektumsetzung in den Gebäuden der Sozialbaugruppe wird auf der Website der HOB veröffentlicht und regelmäßig aktualisiert: https://www.hob.at/heizen.

Auf dieser Website stellt die HOB auch alle wichtigen Informationen zur Umstellung auf eine Gemeinschaftstherme kostenlos zur Verfügung: Erklärvideos, Muster für die Einreichplanung, ein Tool zur Kostenkalkulation, Informationen zur Adressierung von Mieter:innen etc.

Nicht zuletzt diese Offenheit und diese Know-How-Sharing-Kultur machen die Sozialbau AG und ihr Projekt „Gemeinschaftstherme“ zu einem Best-Practice-Beispiel und zu einem Vorreiter in Sachen „Raus-aus-Gas“.

Prinzip „Gemeinschaftstherme“

Vor Neuvermietungen und in Wohnungen optierender Bewohner:innen bei aufrechtem Mietverhältnis werden die Gasthermen demontiert und durch einen Anschluss an Heizungsrohre ersetzt, die vom Dachboden durch den Kamin eingezogen werden.

Kombithermen werden – Wohnung für Wohnung – auf die zentrale Wärmeversorgung umgestellt. Die Wärmeverteilung erfolgt durch die entbehrlich gewordenen Kamine. Die Gasthermen werden durch einen Anschluss an die Wärmeversorgung aus dem ehemaligen Kamin ersetzt.

Die Wärmeerzeugung erfolgt im Dachboden, zunächst weiterhin mit einer Gastherme. Bei Erreichen einer adäquaten Anschlussquote der Wohnungen wird auf eine zentrale Luft-Wasser-Wärmpumpe, ebenfalls im Dachboden, oder – falls vorhanden – auf Fernwärme umgestellt.

Für alle noch nicht an die Gemeinschaftstherme angeschlossenen Wohnungen wird die Wärmeverteilung im Dachboden – mit Wärmeverteilbalken bis zum jeweiligen Kamin, inklusive Absperrhähnen und Regelventilen – bereits vorbereitet.

Beispiel: Miesbachgasse 10

Das 5-geschoßige Wohnhaus Miesbachgasse 10 mit 20 Wohnungen wurde 1966 errichtet. 2011 wurden ein Vollwärmeschutz mit 10 cm aufgebracht und die Fenster erneuert. Die Raumheizung erfolgt mit Gas-Kombithermen und üblichen Warmwasserradiatoren. Die Warmwasserbereitung erfolgt ebenfalls über die Gas-Kombithermen.

Das Gebäude wurde 2016 zum Pilotprojekt für die „Gemeinschaftstherme“: 2017 wurde am Dachboden ein Heizungsraum brandbeständig abgetrennt, in diesem ein Gaskessel mit einer Leistung von 35 kW installiert und gedämmte Heizwasser-Verteilleitungen an den Kaminwänden montiert. Vor jedem einzelnen Kaminzug wurden bereits Abzweiger-, Absperr- und Regelventile errichtet. An diese Abzweiger werden seither Schritt für Schritt Wohnungen angeschlossen. Die Therme in der Wohnung wird demontiert und es werden flexible, vorgedämmte Rohre durch den Kamin eingezogen und so die Wohnungen an das bestehende Heizsystem angeschlossen. Die Warmwasserbereitung wird im Zuge dieser Maßnahmen auf dezentrale 80 bis 120 Liter baugleiche Elektroboiler umgestellt.

Nach Fertigstellung der Installationen am Dachboden wurden im Jahr 2017 zunächst zwei Wohnungen umgestellt. Weitere fünf folgten seither, womit derzeit eine Anschlussquote von rund 30 % erreicht wurde.

Im Jahr 2020 wurde bei einem Stand von vier angeschlossenen Wohnungen zusätzlich zum Gaskessel eine 12,5 kW Luft-Wasser-Wärmepumpe im Dachboden aufgestellt. Diese Wärmepumpe versorgt seither die angeschlossenen Wohnungen. Der Gaskessel dient als Ausfallreserve. Ein im Keller platzierter Lastausgleichsspeicher im Ausmaß von 500 Liter unterstützt den kontinuierlichen Wärmepumpenbetrieb.

Die Umstellung von der Gas-Kombitherme auf die gemeinschaftliche Versorgungsanlage erfolgt auf Wunsch der Bewohner:innen und bei jedem Mieter:innenwechsel. Über die Anschlussmöglichkeit werden die Bewohner:innen informiert, die Terminisierung für die Umrüstung erfolgt über die Community-Plattform www.gemeinsam-staerker.info. Die bauliche Maßnahme der Umstellung dauert in der Regel einen Tag und verursacht in der Wohnung praktisch keinen Staub.

Die Kosten der Umstellung werden zur Gänze vom Vermieter getragen. Umgelegt auf einen hundertprozentigen Anschlussgrad wurden die Kosten pro Wohnung mit maximal 5.200 Euro (3.200 bis 5.200 Euro pro Wohneinheit) ermittelt.
Bei geringeren Anschlussquoten sind die anteiligen Kosten aufgrund der Fixkosten für die Anlage am Dachboden naturgemäß höher.

Die Verrechnung der Heizkosten für die umgestellten Wohnungen erfolgt über das Unternehmen Ista, welches am Dachboden die Wärmemengenzähler montiert.

Weiterführende Informationen zur „Gemeinschaftstherme“

Damit das Prinzip der Gemeinschaftstherme auch über die Sozialbau-eigenen Gebäude hinaus Anwendung findet, hat das Haustechnik-Tochterunternehmen HOB, alle wichtigen Informationen zur Umstellung auf eine Gemeinschaftstherme kostenlos auf ihrer Website zur Verfügung gestellt. Dort finden sich Erklärvideos, Muster für die Einreichplanung, für die Berechnung der Heizlast, ein Tool zur Kostenkalkulation und Informationen zur Adressierung von Mieter:innen.

Weiterführende Informationen

Erkenntnisse, Lessons Learned

Erfahrungen mit dem Einziehen der Heizungsrohre in den Kamin

Der Kamin wird stets vor dem Einziehen der Rohre mit einer Rauchfangkehrerkugel sondiert. Anschließend wird ein Seil verlegt, mit dem die Rohre eingezogen werden. Es wurden verschiedene Rohrtypen erprobt. Derzeit wird ein Produkt der Fa. Geberit verbaut.

Betriebserfahrungen mit der Wärmepumpe im Dachboden

Die Wärmepumpe wurde auf den herstellerseitig angebotenen Gummiauflagen sowie vorsichtshalber zusätzlich auf Federsockeln aufgestellt. Es gibt keinerlei Beschwerden über Lärm- oder Vibrationsbelästigungen.

Der Heizungsbetrieb erfolgt im Zeitraum September bis Mai. Im Laufe der bisher vier Heizsaisonen kam es – aufgrund einer Störung in der Regelungstechnik – an einem Tag zu einem Ausfall der Wärmepumpe. Die Störung wurde binnen sechs Stunden behoben.

Die Zuluftführung zur Wärmepumpe erfolgt über einen rechteckigen Metallkanal durch das Dach mit freier Anströmung zur WP durch den Dachboden. Die Fortluftführung erfolgt ebenfalls über einen rechteckigen Metallkanal durch das Dach, dessen Eintrittsöffnung direkt von der Wärmepumpe angeströmt wird. Trotz dieser freien Luftführung werden keine auch nur frostnahen Temperaturen im Dachraum gemessen.

Erfahrungen mit dem Lastausgleichsspeicher

Die derzeitige Situierung des Lastausgleichsspeicher im Keller führt bei Wärmerzeugung am Dachboden zu einem erhöhten Verrohrungsaufwand und zu unerwünschten Transportverlusten. Hintergrund des Aufstellungsortes waren unter anderem Bedenken zur Tragfähigkeit des Dachbodens. In zukünftigen Projekten wird die Verstärkung des Dachbodens mit I-Trägern oder eine Kaskadierung der Speicherung als mögliche Lösungen angedacht. Gleichzeitig ist beim derzeitigen Aufstellungsort der Anschluss an eine andere Wärmequelle – wie zum Beispiel an ein Fernwärme- oder Anergienetz – mit sehr geringem Aufwand möglich.


Den druckfähigen Bericht zur "Gemeinschaftstherme" finden Sie im Downloadbereich!

Veröffentlicht am 05.10.2022

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