Sanierung und Heizungsumstellung mit fassadenintegrierter Bauteilaktivierung

Um die Bewohner:innen der 20 Wohnungen in der Großen Neugasse in Wien während der thermischen Sanierung und Heizungsumstellung in ihrem Lebensalltag so wenig wie möglich zu stören, hat sich das Planungsteam ein neues, innovatives Konzept überlegt, das großes Potenzial für eine breite Anwendung im Rahmen der Dekarbonisierung und thermischen Sanierung des Gebäudebestands erwarten lässt.

Projektbeschreibung

Die gesamte Projektbeschreibung steht im Downloadbereich zur Verfügung!

Das Wohngebäude der Wohnungsgenossenschaft FAMILIE in der Großen Neugasse 25 im 4. Wiener Gemeindebezirk mit 20 Wohneinheiten und einer Wohnnutzfläche von 1.080 m2 ist Teil eines mehrphasigen wissenschaftlich begleiteten Sanierungs- und Dekarbonisierungsprojekts.

Das innovative Kernstück des Projektes bildet die fassadenintegrierte Bauteilaktivierung, welche von außen zwischen Bestandswand und Dämmung angebracht wird. Das Konzept birgt zahlreiche Vorteile und zeichnet sich unter anderem aus durch

  • seinen minimal-invasiven Charakter: der Einbau der Flächenheizung geschieht rasch und von außen, ohne Eingriff in die Wohnungen
  • keine Austauscherfordernis der Heizkörper: die Flächenheizung stützt die erneuerbare Niedertemperatur-Wärmeerzeugung, wodurch die verringerte Wärmeabgabeleistung der Bestandsheizkörper kompensiert wird
  • eine sommerliche Temperierung bzw. Kühlung: gekühlt wird im Sommer entweder im Free-Cooling Modus oder aktiv über die reversible Wärmepumpe.

Die Maßnahme der Außenwandheizung und -kühlung wird von einem Konsortium aus

  • Institute of Building Research & Innovation | ZT GmbH
  • Universität für Bodenkultur - Institut für Verfahrens- und Energietechnik
  • Vasko+Partner Ingenieure und der
  • Wohnungsgenossenschaft FAMILIE

wissenschaftlich begleitet und über das Forschungsprogramm „Stadt der Zukunft“ des Klimaschutzministeriums gefördert.

Die fassadenintegrierte Bauteilaktivierung wurde im Sommer 2022 hergestellt und geht mit Winter 2022/23 in die erste Betriebssaison. Die Anlage – insbesondere die Verrohrung in der Fassade – wurde mit Mess-Sensorik ausgestattet und wird einem kontinuierlichen Monitoring unterzogen. Erste Ergebnisse werden bis August 2023 erwartet.

Derzeit befinden sich zwei weitere Objekte – Eichendorfgasse 4-6 und Hackenberggasse 29 im 19. Wiener Gemeindebezirk – im Rahmen des Forschungsprojektes in Umsetzung. Erste Monitoring-Ergebnisse werden bis August 2023 ausgewertet.

Haustechnik

Planungsziel

Übergeordnetes Planungsziel ist die Senkung der maximalen Vorlauftemperatur für die Raumheizung von zuvor 75 °C auf 40 °C bei einem gleichzeitigen Erhalt der bestehenden Plattenradiatoren. Die Senkung der Vorlauftemperatur ist mit einer Reduktion der Wärmeabgabeleistung der Plattenradiatoren auf rund 25 % verbunden. Eine Reduktion, die selbst im thermisch sanierten Zustand in zahlreichen Räumen einen Ersatz der Bestandsheizkörper und eine Erneuerung der Anbinde-Leitungen erfordert hätte. Mit der thermischen Aktivierung der Außenwand soll eine Grundheizlast bereitgestellt werden, die den Verbleib der bestehenden Heizkörper ermöglicht. Zusätzlich soll mit der Außenwandaktivierung im Sommer auch eine Wärmeabfuhr aus den Räumen und somit eine sommerliche Temperierung erreicht werden.

Fassadenintegrierte Bauteilaktivierung

Im Zuge der Aufbringung der Fassadendämmung wird eine fassadenintegrierte Bauteilaktivierung errichtet: In die Bestandswand werden außenseitig wasserführende Rohre eingefräst und mit dem neuen Vollwärmeschutz (16 cm) überdämmt. Mit dieser Maßnahme werden die Transmissionswärmeverluste über die Fassade abgefangen und zusätzlich eine Grundheizleistung in den Raum eingebracht. Die bestehenden Heizkörper werden dadurch entlastet und können auch bei deutlich abgesenkter Vorlauftemperatur die erforderliche Wärmemenge in die Räume abgeben.
Die Verrohrung der fassadenintegrierten Bauteilaktivierung besteht aus PEXX-Rohren. Die Verlegung erfolgte in Nut-Fräsungen, die ausgespachtelt und mit 16 cm EPS überdämmt wurden.

Wärme- und Kälteerzeugung

Das Wohngebäude wurde bisher von einem zentralen 400 kW Gaskessel mit Wärme und Warmwasser versorgt. Vor der Heizsaison 2023/2024 wird die Bereitstellung der Raumwärme auf eine 30 kW Sole-/Wasser-Wärmepumpe umgestellt, welche durch eine Erdsonden-Anlage (8 Sonden zu je 100 Meter) gespeist wird.
Die Warmwasserbereitung wird in Zukunft für beide Gebäude über zwei Luft-Wärmepumpen und eine zusätzliche Booster-Wärmepumpe (Wasser-/Wasser-Wärmepumpe) sowie einem zentralen Frischwassermodul je Gebäude sichergestellt.

Im Kühlfall ist die Anlage sowohl auf Free-Cooling als auch auf den aktiven Kühlbetrieb ausgelegt. Im Sommer 2022 wurde der Kühlbetrieb mit einer provisorischen Luft-Wärmepumpe sichergestellt.

Wesentliche Faktoren im Entscheidungsprozess

Insbesondere in der Anfangsphase waren für dieses Projekt die Ambition und der Innovationsgeist des Bauträgers – der Wohnungsgenossenschaft FAMILIE – grundlegend. Die Umsetzung und wissenschaftliche Begleitung der innovativen fassadenintegrierten Bauteilaktivierung wird durch staatliche Fördermittel der FFG (Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH) unterstützt.

Erkenntnisse, Lessons learned

Erfahrungen mit dem Fräsen der Nuten in der Fasssade

Es wurden mehrere Fräsertypen erprobt. Die besten Ergebnisse wurden mit einem Scheibenfräser mit vier eng aneinander sitzenden Scheiben erzielt. Der Vorteil: die Nuten werden bereits mit der Fräsung vollständig hergestellt. Bei den anderen eingesetzten Geräten mit nur zwei Frässcheiben mussten diese nachträglich ausgestemmt werden.

Erfahrungen mit der Rohranordnung

Im gegenständlichen Projekt wurde ein Rohrabstand von 30 cm ausgeführt. Bei künftigen Projekten soll dieser – nach den guten Erfahrungen mit der Fräsung und im Sinne besserer thermodynamischer Funktion – auf 20 cm reduziert werden.

Bei der Verlegung der Rohre sind Hochpunkte praktisch unvermeidlich. Daher waren Vorkehrungen für eine allfällige Spülung zu treffen: Die Rohre werden von einem Verteiler versorgt, der in einem Kanal im Bereich der Decke zwischen Erd- und Obergeschoß 1 angeordnet ist. Der Kanal ist ausgedämmt und ist für Revisionen öffenbar. Jeder Heizkreis ist einzeln absperrbar. Die frequenzgesteuerte Umwälzpumpe wurde mit einer Leistungsreserve ausgelegt, um damit ein allfälliges Spülen durchführen zu können.

Erfahrungen mit der thermischen Qualität der Bestandswand

Für die thermodynamische Funktion der Maßnahme entscheidend ist ein möglichst schlechter (!) Wärmeschutzstandard der Bestandsfassade. Ein U-Wert von 1 W/(m².K) sollte nach Möglichkeit nicht unterschritten werden. Niedrigere Werte führen zu einem sinkenden Heizwärmestrom nach innen und zu einem anteilig höheren Verlustwärmestrom nach außen.

 

Veröffentlicht am 30.10.2022

Kontakt

Lea-Marie Hackl, BSc Institute of Building Research and Innovation | ZT GmbH
Wipplingerstraße 23/3
1010 Wien
Telefon: +43 1 58 11 319 DW 815
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