Die 15-Minuten-Stadt ist ein städtebauliches Konzept, das viele Probleme unserer Zeit lösen könnte: Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Platzmangel, Stadtklima, Gesundheitsprobleme durch Bewegungsmangel, Work-Life-Balance und vieles mehr. Vor allem aber ist es eine Einladung, darüber nachzudenken, wie und ob wir unsere Zeit und unseren Raum sinnvoll nutzen.
Die Idee der 15-Minuten-Stadt
Aufbauend auf bestehende Forschungen wurde das Konzept von Carlos Moreno von der Pariser Universität Pantheon Sorbonne entwickelt. Die 15-Minuten-Stadt soll es den Bewohner:innen ermöglichen, alle wichtigen lokalen Dienstleistungen in einem Viertelstunden-Radius zu erreichen. Das bedeutet, dass Arbeitsplatz, Schule, Apotheken und Ärzte, Freizeiteinrichtungen, Spielplätze, Einkaufsmöglichkeiten sowie Naherholungsgebiete nicht weiter als eine Viertelstunde zu Fuß oder mit dem Fahrrad entfernt sind. Somit werden Wohn-, Büro- und Gewerbegebiete nicht mehr getrennt gedacht.
Mobilität soll aber nicht auf die eigene Nachbarschaft beschränkt bleiben. Vielmehr geht es im Kern darum, die Grundbedürfnisse der Menschen abzudecken und Mobilität abseits des motorisierten Individualverkehrs zu ermöglichen. Fuß- und Radverkehr stehen dabei im Vordergrund. Eine gut ausgebaute Infrastruktur für das Zu-Fuß-Gehen und Fahrradfahren ist dafür Voraussetzung.
Lebendiger Ortskern vs. autozentrierte Ortschaft
Vielerorts ist der Besitz eines Autos nach wie vor Voraussetzung für ein gutes Leben. Das zeigt sich häufig in der sehr strikten Trennung von Wohn- Gewerbe- und Bürogebieten. So werden an den Ortsrändern riesige Flächen an Boden versiegelt um Einkaufszentren, Supermärkte und daran anschließende Parkplätze zu errichten. Die Wege dort hin sind dabei auf das Auto ausgerichtet: Wer kein Auto zur Verfügung hat oder keinen Führerschein besitzt (oder besitzen darf), kann diese Orte gar nicht erreichen. Gleichzeitig sterben immer mehr Ortskerne aus, Geschäfte schließen und es gibt kaum noch soziale Treffpunkte im Ort. Die 15-Minuten Stadt soll eine Antwort auf diese Probleme sein und ein Umdenken in der Stadtplanung anregen.
Vorteile einer Stadt der kurzen Wege
In einer "Stadt der kurzen Wege" - einem raumplanerischen Prinzip für kompakte, kleinteilige Bebauung mit gutem Nutzungsmix ähnlich der 15-Minuten Stadt - verliert das Auto immer mehr an Bedeutung. Die Zahl der Fahrzeuge sinkt, entsprechend werden weniger Straßen- und Stellplatzflächen benötigt. Damit gewinnen die Bewohner:innen wieder an Platz, welcher gemeinschaftlich genutzt werden kann. Neben der Revitalisierung von Nachbarschaften bedeutet die Umsetzung einer 15-Minuten-Stadt aber auch eine geringere Lärmbelastung und weniger Luftverschmutzung. Für die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum wäre dies ein enormer Gewinn.
Von einer klugen Stadtplanung profitieren alle, vor allem jene Gruppen, die sich sonst kaum eigenständig fortbewegen könnten. Eine 15-Minuten-Stadt ist autoärmer, ruhiger und damit auch sicherer. Vor allem Kinder und Jugendliche wirkt sich das Konzept positiv auf die eigene Mobilität aus. Sie haben die Chance, sich selbständig und sicher fortzubewegen, ohne auf das Elterntaxi angewiesen zu sein.
Eines der wichtigsten Argumente, das für die 15-Minuten-Stadt spricht, ist die enorme Zeit- und Kostenersparnis. Zeit, die man lieber mit Freunden und Familie verbringt als im Auto und im Stau. Und Geld, das für Treibstoffkosten sowie Anschaffung und Erhalt eieingespart und anderweitig verwendet werden kann.
Verwandte Konzepte: 30 Minuten-Region
Nicht immer kann auf längere Wege verzichtet werden und es ist notwendig (und auch gewollt), das Grätzl zu verlassen. Die 30-Minuten-Region setzt das Konzept der 15-Minuten-Stadt fort. Das Prinzip ist dasselbe, innerhalb eines 30-Minuten-Radius sollen die wichtigsten Einrichtungen im Alltag erreichbar sein. Vor allem für die Erreichbarkeit der Arbeitsstelle wird dies relevant sein. Der Schwerpunkt liegt bei diesem Konzept allerdings nicht auf Aktiver Mobilität, also auf das Gehen und Radfahren, sondern auf den Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln und Sharing-Modellen. Auch E-Bikes können hier an Bedeutung gewinnen. Sie ermöglichen es, auch größere Distanzen aktiv zurückzulegen.
Man kann das Konzept aber auch noch kleiner Denken und sich auf einen Wohnblock konzentrieren. Die Superblocks in Barcelona folgen diesem Prinzip. Auch in Wien gibt es dazu Bestrebungen.
Aus der Praxis: St. Paul im Lavanttal als 15-Minuten-Dorf
Die Gemeinde St. Paul im Lavanttal bezeichnet sich selbst als 15-Minuten-Dorf, in dem die Bewohner:innen nicht vom Besitz eines eigenen Autos abhängig sind. Die 3.200-Einwohner-Gemeinde legt Wert darauf, dass der tägliche Lebensbedarf im eigenen Ort gedeckt werden kann und für alle gut erreichbar ist. Die Gemeinde hat sich bewusst gegen Einkaufszentren- oder Gewerbeparkwidmungen am Ortsrand entschieden, um so den Ortskern im Zentrum zu beleben. Mit dem Ausbau der Koralmbahn ist auch der Arbeitsweg ohne eigenes Auto möglich, denn Graz und ab 2025 auch Klagenfurt sind mit dem Zug in 20 bis 30 Minuten erreichbar.
Wie weit komme ich in 15 Minuten?
Eine Viertelstunde ist nicht viel. Mit dem Fahrrad kann man in dieser Zeit aber schon viele Kilometer zurücklegen und die wichtigsten Ziele in einem Ort erreichen. So kann zum Beispiel die Stadt Steyr in Oberösterreich vom Zentrum aus in alle Richtungen vollständig erkundet werden. Auch die Nachbargemeinden können schnell erreicht werden.
Auf bikecitizens.net können Sie selbst herausfinden, wie weit Sie in 5, 10, 15 und 30 Minuten in Ihrem Ort kommen.