Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Bedeutung der Aktiven Mobilität in den letzten Jahren verändert und wird der Anteil des Zu-Fuß-Gehens wieder zunehmen?
Nina Hampl: In den letzten Jahren hat die Aktive Mobilität durch ein wachsendes Bewusstsein für Gesundheits- und Umweltthemen an Bedeutung gewonnen. Zu-Fuß-Gehen und Radfahren wird zunehmend als einfache und zugängliche Möglichkeit wahrgenommen, um körperlich aktiv zu bleiben und den Alltag nachhaltiger zu gestalten. Diese Entwicklung spiegelt sich nicht nur in der stärkeren Ausrichtung der städtischen Infrastruktur auf Fuß- und Radverkehr wider, sondern auch in einer Vielzahl von Programmen und Initiativen, die Aktive Mobilität fördern. Als Teil dieser Entwicklung wurde auch das Zentrum für Aktive Mobilität gegründet, wo neue wissenschaftliche Erkenntnisse, Entscheidungsgrundlagen und Lösungen im Kontext von Klima, Umwelt, Raum, Gesundheit und Wirtschaft erarbeitet werden. Attraktive, sichere und gut vernetzte Fußwege mit hoher Aufenthaltsqualität sowie Maßnahmen wie autofreie Zonen oder die Schaffung von Grünflächen könnten das Zu-Fuß-Gehen langfristig fördern.
Aglaée Degros: Die Entwicklung des Gehens hängt sehr stark von der Gesellschaft ab, die wir uns für die Zukunft wünschen. Mobilität und Gesellschaft sind untrennbar miteinander verbunden. Eine Gesellschaft, die sich ihrer Umwelt und der Gesundheit ihrer Bevölkerung bewusst ist und die sich um ihre jüngsten und ältesten Bürger:innen kümmert, wird eine Zunahme der Aktiven Mobilität erleben. Eine Flucht in eine technisierte Welt oder eine Rückkehr zu den Bildern der 50er Jahre wird hingegen wenig Raum für Aktive Mobilität lassen.
Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist das Thema „Positive Mobilitätskultur“. Was verstehen Sie darunter und welche Rolle spielt das Zu-Fuß-Gehen dabei?
Nina Hampl: Unter einer positiven Mobilitätskultur verstehe ich eine gesellschaftliche Einstellung und Praxis, die Aktive Mobilität, insbesondere das Zu-Fuß-Gehen und Radfahren, als wertvolle und erstrebenswerte Formen der Fortbewegung fördern. In einer solchen Kultur werden diese Mobilitätsformen nicht nur als funktionale Transportmittel betrachtet, sondern auch als Möglichkeiten, die Lebensqualität, Gesundheit und den Umweltschutz zu verbessern.
Das Zu-Fuß-Gehen spielt eine zentrale Rolle, da es die einfachste und inklusivste Form der Aktiven Mobilität ist und nicht nur die körperliche Fitness fördert, sondern auch soziale Interaktion und Gemeinschaftsgefühl stärkt. Attraktive und sichere Fußwege machen das Zu-Fuß-Gehen zu einer echten Alternative zu motorisierten Verkehrsmitteln, insbesondere auf kurzen Strecken, und schaffen eine nachhaltige, gesunde Umgebung, in der Menschen gerne aktiv unterwegs sind.
Ihr Team arbeitet auch am Buch „Courage! So geht die Mobilitätswende“, das demnächst erscheint. Welche europäischen Beispiele sind für Städte und Dörfer besonders inspirierend und warum sind sie so wirkungsvoll?
Aglaée Degros: Das Buch (in Zusammenarbeit mit der TU Wien entstanden) soll Mut machen, die Normen einer vom Auto dominierten Umwelt in Frage zu stellen. Es zeigt Beispiele wie die Kuileneindestraat in Meersen, Niederlande, wo der Raum von den Fassaden aus gestaltet wird, oder den Bellevue-Park in Leuven, Belgien, wo dünne Betonstreifen Autofahren erschweren und Fußgänger:innen sowie Radfahrer:innen Vorrang geben. Solche Projekte stellen Normen in Frage und schlagen eine gerechtere Raumnutzung vor. Die Publikation vermittelt auch ein tieferes Verständnis der Prozesse hinter diesen Projekten und betont, wie wichtig deren konkrete Umsetzung ist, etwa durch Bürgerbeteiligung beim RÖMI in Karlsruhe oder temporäre Maßnahmen wie in Mailands Piazza Aperte.
Das Konzept der 15-Minuten-Stadt ist seit längerer Zeit in aller Munde. Wie realistisch ist dieses Modell in Österreich und welche positiven Ansätze gibt es, um es auch im ländlichen Raum erfolgreich umzusetzen?
Aglaée Degros: Die 15-Minuten-Stadt verbindet Stadtentwicklung, Zeit und Mobilität, Disziplinen, die bisher oft getrennt betrachtet wurden. Besonders im ländlichen Raum ist es wichtig, lokale Anziehungspunkte wie Geschäfte oder Schulen aufzuwerten und sie für kurze Wege per Fahrrad oder zu Fuß erreichbar zu machen – mit positiven Auswirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Lebensqualität. In Österreich erschweren jedoch isolierte Verwaltungs- und Fördersysteme die Umsetzung.
Im ländlichen Kontext muss das Konzept flexibler sein: Infrastrukturen wie medizinische Zentren oder Schulen könnten regional geteilt werden, während Carsharing, Busse oder Fahrräder das Auto ergänzen. Das Modell erfordert zudem eine Neuausrichtung der Arbeitsperspektive, denn ohne Anpassungen an Arbeitswege und Standorte bleibt die 15-Minuten-Stadt unvollständig.
Das Klimaschutzministerium hat die Initiative „Österreich zu Fuß“ gestartet. Wie wichtig sind solche Kampagnen, um das Entscheidungsverhalten der Menschen zu beeinflussen und nachhaltige Mobilität im Alltag zu fördern?
Nina Hampl: Kampagnen wie „Österreich zu Fuß“ sind von großer Bedeutung, da sie dazu beitragen, das Bewusstsein für die Vorteile des Zu-Fuß-Gehens zu schärfen. Zudem ermutigen sie die Menschen, das Gehen als einfache und gesunde Mobilitätsoption in ihren Alltag zu integrieren. Solche Initiativen können auch dazu beitragen, allgemein eine positive Einstellung zu Aktiver Mobilität zu entwickeln. Es ist jedoch ebenso wichtig, dass solche Kampagnen von einer passenden Infrastruktur begleitet werden. Eine attraktive, sichere und inklusive Infrastruktur für den Rad- und Fußverkehr ist entscheidend, damit die Menschen aktive Mobilitätsformen als praktische Fortbewegungsmittel wahrnehmen.
Wenn bewusstseinsbildende Kampagnen mit konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Fußverkehr einhergehen, können sie eine nachhaltige Veränderung im Mobilitätsverhalten der Menschen bewirken.