Fragen Sie sich auch oft, wie eine Stadt aussehen könnte, die dem Rad- und Fußverkehr Vorrang einräumt? Zugegeben, es ist nicht einfach, sich das vorzustellen. Oft fehlt die Vorstellungskraft, weil es kaum konkrete Beispiele gibt. Die ETH Zürich beschäftigt sich mit diesem Thema und hat das Projekt E-Bike-City ins Leben gerufen.
Hintergrund zum Projekt E-Bike-City
Städte stehen zunehmend vor der Herausforderung, den unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnissen einer wachsenden Bevölkerung gerecht zu werden und den vorhandenen Raum effizient zu nutzen. Elektroautos können einen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten, verbessern aber nicht die knappen Netzkapazitäten. Öffentliche Verkehrsmittel sind effizienter, aber aufgrund der hohen Kosten nur schwer realisierbar. Damit rücken das Fahrrad und andere Formen der Aktiven Mobilität wieder stärker in den Fokus.
Derzeit sind in Zürich rund 88 Prozent des Straßenraums für den motorisierten Individualverkehr und die dazugehörigen Parkplätze reserviert, nur 12 Prozent bleiben für den Radverkehr, oft geteilt mit dem Fußverkehr oder dem MIV. In der E-Bike City soll das anders werden. Im Projekt E-Bike-City untersuchen Forschende der ETH Zürich, wie der Straßenraum zugunsten des Rad- und Fußverkehrs umgestaltet werden kann.
Mehr Raum für Menschen
Der Name E-Bike-City kann in die Irre führen, denn die Stadt ist in diesem Gedankenexperiment für alle Arten der Fortbewegung konzipiert, einschließlich dem Öffentlichen Verkehr und Aktiver Mobilitätsformen sowie Autos in reduzierter Anzahl. Die E-Bike-City basiert auf Gestaltungsprinzipien, die dem Rad- und Fußverkehr Vorrang einräumen:
1. Die Hälfte des Straßenraums ist dem Rad- und Fußverkehr vorbehalten.
2. Die andere Hälfte ist über ein Netz von Einbahnstraßen für den motorisierten Verkehr zugänglich. Dies ermöglicht die Zufahrt für Taxis, Krankenwagen und Lieferfahrzeuge. Jedes Gebäude soll für motorisierte Fahrzeuge erreichbar bleiben.
3. Der öffentliche Verkehr kann mit ähnlichen Geschwindigkeiten wie heute auf den bestehenden Strecken verkehren. Durch verbesserte technische Möglichkeiten kann flexibler auf die Nachfrage reagiert werden.
4. Der Durchgangsverkehr in den Wohnquartieren wird minimiert und ruhigere Orte für Anwohner:innen geschaffen.
Zahlreiche positive Effekte werden erwartet: Sicheres Gehen und Radfahren kann eine gute Ergänzung zum Öffentlichen Verkehr sein und macht Menschen jeden Alters mobil. Dadurch ergibt sich auch mehr Platz für die Bevölkerung im Straßenraum. Gleichzeitig wird die körperliche und geistige Gesundheit der Bevölkerung durch ein Mindestmaß an regelmäßiger Bewegung gefördert, der Lärm in den Städten verringert und die Emissionen reduziert.
Bedarfsorientierte und dynamische Straßennutzung
Ein Teilprojekt des Projekts „E-Bike-City“ beschäftigt sich mit einer bedarfsorientierten Planung des öffentlichen Verkehrs, die mehr Flexibilität ermöglicht. Im Rahmen dessen wird ein Prognosemodell entwickelt, das Wetterdaten mit Verkehrsmustern kombiniert und so anzeigt, welches Verkehrsmittel unter verschiedenen Bedingungen bevorzugt werden soll. Ein regnerischer Tag kann beispielsweise dazu führen, dass mehr Radfahrende auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen. Eine gute Prognose kann einen flexibleren Betrieb ermöglichen und die Nachfrage zu Stoßzeiten besser abdecken. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Stau bildet, sinkt dadurch.
Eine weitere Idee ist die „dynamische Fahrspurzuweisung“. Mittels eines Straßenzuweisungssystems passen sich Hauptverkehrsadern dem wechselnden Verkehrsaufkommen an. An sonnigen Tagen wird der Aktiven Mobilität mehr Platz eingeräumt, an Regentagen wird der Öffentliche Verkehr priorisiert. Bei Bedarf kann Platz für den Autoverkehr geschaffen werden. So werden die vorhandenen Kapazitäten des Verkehrssystems optimal genutzt.
Kosten-Nutzen der E-Bike-City
Welchen Preis die E-Bike-City hat, ist eine berechtigte Frage, die aber schwierig zu beantworten ist. Die Datenlage über Infrastrukturmaßnahmen und der Stand der Forschung zum Radverkehr sind dazu nicht ausreichend. Infrastrukturinvestitionen stellen allerdings einen hohen Nettonutzen für die Gesellschaft dar. Niedrigere Emissionen und eine geringere Anzahl an Todesfällen, weniger Lärmbelästigung und positive gesundheitliche Effekte durch Aktive Mobilität wiegen die Kosten der Infrastruktur auf.