Ausgangssituation
Österreich verfügt über ein international anerkanntes System des leistbaren Wohnbaus, bei dem die Projektentwicklung durch private gemeinnützige Bauvereinigungen und die Finanzierung durch die öffentliche Wohnbauförderung effizient zusammenwirken. Der Wohnbau steht aber aktuell vor großen Herausforderungen:
- Ein anhaltend großer Wohnungsbedarf kollidiert mit stark steigenden Marktmieten. Günstige Wohn- und Energiekosten wirken sich positiv auf andere Konsumbereiche aus und sind gerade hinsichtlich der Überwindung der COVID-19-Krise immens wichtig.
- Der lebhafte Wohnungsneubau im urbanen, suburbanen und ruralen Raum verursacht einen massiven Flächenverbrach.
- Wohnungen mit ihrer langen Lebensdauer werden den sich ändernden Bedürfnissen nur eingeschränkt gerecht.
- Die von EU und der Bundesregierung verordnete Dekarbonisierung des Wohnungsbestands ist nur mit dem breiten Einsatz neuer Lösungen erreichbar.
Neuer Wohntyp mit geringem Flächenverbrauch
In der niederösterreichischen Gemeinde Theresienfeld entstand nun eine für den geförderten Wohnbau neue Gebäudetypologie: "Viertel hoch zwei" heißt das Projekt, das Gerald Batelka (Wien-Süd eGenmbH) gemeinsam mit dem Wohnbauforscher Wolfgang Amann (IIBW) und weiteren Kooperationspartnern in der Tonpfeifengasse in Theresienfeld, Niederösterreich, umgesetzt hat.
Das Pilotprojekt besteht aus 28 Wohneinheiten in 4 Gebäuden, von denen 2 in der neuen Typologie realisiert wurden. Auf den ersten beiden Etagen befinden sich jeweils vier rund 100 Quadratmeter große Familienwohnungen. Im Dachgeschoß gibt es zwei je 70 m² große Einheiten mit großzügigen Terrassen.
Die neue Gebäudetypologie reduziert den Flächenverbrauch im suburbanen Raum. Die Gebäude passen sich gut in die Einfamilienhaus-Nachbarschaften ein. Damit wird ein gangbarer Weg aufgezeigt, den in Österreich sehr hohen Flächenverbrauch in ländlichen und vorstädtischen Gegenden zu reduzieren. Wo sonst eineinhalb Einfamilienhäuser Platz haben, können mit der neuen Typologie sechs hochwertige Wohnungen – große Eckhäuser und Dachgeschoßwohnungen – realisiert werden. Der Bauträger beabsichtigt, den bei diesem Projekt entwickelten Standard zu skalieren.
Geringe Kosten durch Erneuerbare Energie und Bauteilaktivierung
Die Gebäudehülle wurde in Passivhausqualität ausgeführt. Die Raumheizung erfolgt anhand einer Wärmepumpe mit Bauteilaktivierung. Dabei werden die Betondecken mittels Heizschlangen temperiert. Es wird im Winter physiologisch angenehme Strahlungswärme erzeugt, im Sommer können die Räume gekühlt werden. Der dafür nötige Strombedarf ist minimal und wird von den PV-Paneelen am Dach sowie von einem Windkraftbetreiber erzeugt, mit dem ein Liefervertrag besteht.
Das Wohngebäude fungiert somit als „thermische Batterie“ für die stark volatile Stromerzeugung aus Wind und Sonne. Mittels Wärmepumpen kann 1 KW Strom in 4 KW Wärme umgewandelt werden. Entsprechend skaliert ist dies eine günstige Großtechnologie zur Stabilisierung der Stromnetze und die Bewältigung der Energiewende durch Sektorkoppelung.
Das Warmwasser wird dezentral in den Wohnungen durch Klein-Wärmepumpen erzeugt, um die sonst üblichen Verteilungsverluste zu minimieren. All diese Maßnahmen bewirken einen annähernd emissionsfreien Betrieb des Wohnhauses.
Optimale Lebenszykluskosten standen hinter allen Systementscheidungen und ermöglichen niedrige Mieten von ca. € 800 für ca. 100m² und 5-Zimmer. Die Energiekosten liegen, dank dem Heizwärmebedarf von 26 kWh/m2a, um etwa 60% unter Vergleichswohnungen. Bei allen Systementscheidungen wurde auf einfache Technologie - „Low Tech“ - gesetzt.
Adaptierbare Familienwohnungen
Die „Viertel“-Häuser sind im Lebenszyklus teilbar: Die größeren Familienwohnungen sind als Maisonetten angelegt. Bei Bedarf kann das Obergeschoß entweder als eigene Wohneinheit innerhalb der Familie verwendet oder an Dritte untervermietet werden. In beiden Geschoßen gibt es Nasszellen und Wohnungseingangstüren. Die innenliegenden Stiegen können so umgebaut werden, dass im Obergeschoß ein Abstellraum entsteht.
Auch an klimafreundliche Mobilität wurde gedacht: Bei den Kfz-Stellplätzen wurde bereits die nötige Leerverrohrung für E-Ladestationen verlegt. Öffentliche Verkehrsmittel stehen beim nahegelegenen Bahnhof Theresienfeld bereit, der in 10 Minuten zu Fuß erreichbar ist.
Die Bewohnerinnen und Bewohner konnten ihre Wohnungen trotz der COVID-Situation planmäßig im Oktober 2020 beziehen. Nach der ersten Heizperiode wird das Projekt in technischer und sozialer Hinsicht evaluiert sowie einem Monitoring in der Nutzungsphase unterzogen.
Standort
2604 Theresienfeld, Tonpfeifengasse 5 –11
Projektbeteiligte
- Bauträger: Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft Arthur Krupp GmbH (Teil der Unternehmensgruppe Gemeinnützige Bau- u. Wohnungsgenossenschaft "Wien-Süd" eGenmbH)
- Projektleitung: Christof Anderle
- Projektidee und -entwurf: Gerald Batelka, Arthur Krupp/Wien Süd
- Architektur: Steinkogler Aigner Architekten
- Forschungskoordination, Dissemination: IIBW – Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH
- Haustechnikplanung: Gugerell KG und ha.con
- Lebenszykluskostenberechnungen: Energieinstitut Vorarlberg
- Bauliche Flexibilisierung: Dinhobl Bauunternehmung
- Soziologische Evaluierung nach Bezug: FGW
- Bauphysiologie: Archicolor
- Technisches Monitoring nach Bezug: Allplan
- Freiraumplanung: Natur im Garten