Wiener Klimateam: Über 2.000 Klima-Ideen in zwei Jahren

Vor zwei Jahren startete das Wiener Klimateam als Pilotprojekt in drei Bezirken. Mit einem partizipativen Ansatz werden Bürger:innen mobilisiert. Wencke Hertzsch von der MA 20 - Energieplanung erklärt, wie das mit dem K3-Preis für Klimakommunikation prämierte Projekt auch schwer erreichbare Gruppen aktiviert, welche Erfolge erzielt wurden und welche Lehren andere Städte daraus ziehen können.

Vor mehr als zwei Jahren wurde das Wiener Klimateam in drei Bezirken als Pilotprojekt gestartet. Was waren die Hauptgründe dafür, dieses Beteiligungsformat auf lokaler Ebene einzuführen, und wie hat sich die Entscheidung, mit einem Pilotprojekt zu beginnen, bewährt?

Wencke Hertzsch: Die Zielsetzung, u.a. ein partizipatives Budget für den Klimaschutz einzurichten, ist in den Strategiepapieren der Stadt Wien verankert. Daraus wurden im Auftrag der Geschäftsgruppe Klima, Umwelt, Demokratie und Personal die Leitvorgaben zum Wiener Klimateam abgeleitet. Es folgte eine knapp zweijährige Vorbereitungszeit. Die Einführung des Wiener Klimateams als Pilotprojekt in drei Bezirken war ein wichtiger Schritt, um die Mitbestimmung auf Bezirksebene zu fördern. 

Ein zentrales Anliegen des Klimateams war es, Mitbestimmungsmöglichkeiten zu schaffen, die nicht nur einer kleinen privilegierten Gruppe von Alteingesessenen und Bessergestellten vorbehalten bleiben. Gerade junge Menschen und wirtschaftlich benachteiligte Gruppen sind besonders stark von den Auswirkungen solcher Krisen betroffen. Wir setzen daher nicht nur auf die Förderung des Klimaschutzes, sondern auch auf die Stärkung der demokratischen Teilhabe.

Das Wiener Klimateam ist nach zwei erfolgreichen Pilotjahren ein fester Bestandteil der Klima- und Beteiligungsaktivitäten der Stadt Wien. Der Fokus der über 2.000 eingereichten Ideen lag auf den Themen des Stadtraumes, öffentlichen Raumes, der Umwelt und Mobilität. Es ist gelungen, Menschen für das Projekt zu begeistern, sie zu aktivieren und mit ins Boot zu holen. 

Bei Beteiligungsformaten zum Thema Klima nehmen oft die „üblichen Verdächtigen“ teil. Welche konkreten Maßnahmen setzen Sie ein, um auch weniger engagierte oder schwer erreichbare Bevölkerungsgruppen zu gewinnen?

Hertzsch: Wir setzen auf die Zusammenarbeit mit lokalen Multiplikator:innen in den Bezirken. Diese sind für uns der essentielle Schlüssel, um auch jene Zielgruppen zu erreichen, die sonst üblicherweise in Beteiligungsprojekten selten erreicht werden - wie Jugendliche oder Menschen mit Migrationshintergrund. Zu diesen Multiplikator:innen zählen unter anderem die Lokale Agenda 21, Fair Play Teams, Pensionistenverbände, Gebietsbetreuungen, Wohnpartner, Nachbarschaftszentren, Schulen und Vereine. Im aktuellen Klimateam-Zyklus 2024 sind es rund 75 Multiplikator:innen. Sie begleiten das Wiener Klimateam und sind das Sprachrohr ihrer Zielgruppe. Zur Unterstützung bekommen diese eine „Klimateam-Box“ - eine Mitmach-Box, in der Infos zum Thema Klima leicht verständlich und spielerisch aufbereitet sind. Wir organisieren zudem in den Bezirken Veranstaltungen wie Klima-Cafés, Schulworkshops oder Bastel- und Kochworkshops. Oberste Prämisse ist es, bei den Menschen vor Ort zu sein und direkt mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Mitmachen kann man auch postalisch oder digital. Wir verschicken Ideen-Postkarten und bieten eine digitale Plattform, auf der eingereicht werden kann. Basisinfos gibt es auch mehrsprachig. Außerdem haben wir "How to Videos" mit Übersetzung in unterschiedlichen Sprachen.

Ein zentrales Element ist die Bürger:innen-Jury je Bezirk. Wie finden Sie Menschen, die bereit sind, sich zu engagieren, und wie hat sich der Entscheidungsprozess in den Jurys bewährt?

Hertzsch: Die Bürger:innen-Jury ist eine geloste Gruppe an Bezirksbewohner:innen, die die diverse Bevölkerungszusammensetzung im Bezirk repräsentiert. So sollen verschiedene Sichtweisen und Erfahrungen der Gesamtbevölkerung berücksichtigt werden. Ihre Aufgabe ist es, Projekte auszuwählen und zur Umsetzung vorzuschlagen.

Die Jury-Mitglieder werden in einem zweistufigen Verfahren nach repräsentativen Merkmalen ausgewählt. In Stufe 1 ziehen wir aus einer Zufallsstichprobe von 2.000 bis 3.000 Personen über 16 Jahren aus dem Bezirk. Interessierte können sich auch telefonisch melden oder online registrieren. Aus allen Registrierten werden dann in einem zweiten Schritt wiederum 20 bis 25 Menschen zufällig ausgelost, welche die Bevölkerung im Bezirk gut widerspiegeln. Am Ende steht ein „Mini-Bezirk".

Die Entscheidungsfindung basiert auf gemeinsam festgelegten Kriterien und erfolgt in einer moderierten Deliberation nach dem Konsent-Prinzip. Das Ziel ist, eine Entscheidung zu treffen, die alle Beteiligten akzeptieren können, selbst wenn sie nicht ihre erste Wahl ist, solange keine schwerwiegenden Einwände bestehen. Werden Einwände vorgebracht, müssen diese angehört und diskutiert werden. Das Konsent-Prinzip führte in allen sechs Bezirksjurys zu gemeinsam getragenen Entscheidungen. Die im Vorfeld erarbeiteten Kriterien dienten dabei als wichtige Orientierung und wurden konsequent berücksichtigt. Im Verlauf der Diskussionen konnte beobachtet werden, wie sich durch das Anhören verschiedener Argumente und das Abwägen unterschiedlicher Perspektiven Meinungen bildeten, weiterentwickelten und auch veränderten.

Welche positiven Erfahrungen und möglichen Herausforderungen können Sie anderen Städten oder Gemeinden mitgeben, die ein ähnliches Beteiligungsformat für Klimaprojekte einführen möchten?

Hertzsch: Diese Initiative schafft Aufmerksamkeit und mobilisiert auf lokaler Ebene. Uns gelingt es damit, dass die Menschen quasi "in den Maschinenraum schauen" können. So schaffen wir Verständnis für Zusammenhänge, Abläufe sowie Machbarkeit und wir legen Zielkonflikte offen. Insgesamt steigern wir damit die Akzeptanz für das Handeln von Politik und Verwaltung. Das Klimateam ist ein erfolgreiches Modell für neue Formen der Zusammenarbeit - zwischen Dienststellen sowie zwischen Stadtverwaltung, Bezirk und Bevölkerung.

Was wir anderen mitgeben sind drei Aspekte. Erstens sollte der Prozess so gestaltet werden, dass alle Beteiligten als gleichwertige Partner:innen angesehen werden und der Erfolg ein gemeinsamer ist, ohne Gewinner:innen und Verlierer:innen. Zum zweiten muss sichergestellt werden, dass der Wettbewerbsgedanke nicht die ko-kreative Lösungsfindung überlagert. Und zu guter Letzt braucht es auf allen Ebenen ausreichende Kapazitäten - sowohl personell als auch materiell.

Nach der zweijährigen Pilotphase: Was wurde am Format verändert und wie sieht die Zukunft des Wiener Klimateams aus?

Hertzsch: Wir haben die beiden Pilotjahre evaluiert. Die Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Weiterentwicklung im Frühjahr 2024. Wir haben eine Ideen-Werkstatt als öffentliches, ko-kreatives Format zur gemeinsamen Ersteinschätzung und Auswahl der Ideen durch Expert:innen und Bürger:innen eingeführt. Wir bieten jetzt auch über die Beteiligungsplattform regelmäßige Status-Updates zum Umsetzungsstand. Außerdem setzen noch stärker auf einfache Sprache und How-to-Videos in verschiedenen Sprachen. Auch die Projektphasen haben wir auf Wunsch vieler Teilnehmer:innen angepasst - Beginn und Ende wurden rund um die Sommerferien gelegt.

Mehr als 2.000 Ideen wurden von Bürger:innen bereits eingebracht. Gibt es ein Projekt, das Ihnen persönlich besonders am Herzen liegt oder das Sie als besonders wegweisend empfinden?

Hertzsch: Ich möchte zwei Projekte hervorheben, die 2022 von den Jurys zur Umsetzung empfohlen wurden. Das erste ist das Repair Café in Margareten, das seit Februar 2024 im 48er Tandler stattfindet. Entstanden aus der Zusammenarbeit von Bürger:innen und Expert:innen, bietet es einmal im Monat kostenlose Reparaturen von Elektro-Kleingeräten, Textilien und Fahrrädern durch Fachleute an. Ziel ist es, Gegenstände im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu reparieren, anstatt sie wegzuwerfen. Das Repair Café fördert damit nicht nur nachhaltigen Konsum, sondern auch den Wissensaustausch und das Gemeinschaftsgefühl.

Das zweite Projekt ist die Wiederherstellung eines vormals aufgegebenen Naturlehrpfads zwischen der Florian-Hedorfer-Straße und Schloss Neugebäude in Simmering. Der neu gestaltete Pfad bietet nun einen attraktiven Erholungsraum mit Spiel- und Sportgeräten, Lehrtafeln, Sitzbänken und bunten Blühstreifen – ein Ort, der sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene geeignet ist.

Veröffentlicht am 24.09.2024